Jugendhilfeausschuss sollte sich auf den Aufbau von funktionierenden Strukturen im Kinderschutz konzentrieren
Hameln-Pyrmont. In seiner schriftlich eingereichten Aussage gegenüber dem nordrhein-westfälischen Untersuchungsausschuss zum Fall Lügde räumt der Ex-Landrat Tjark Bartels schwere Versäumnisse seiner früheren Behörde ein. Das Kindeswohl sei nicht hinreichend geprüft worden und so seien Risikofaktoren unbeachtet geblieben und mögliche Ressourcen zur Abwendung der Gefährdung ungenutzt geblieben.
„Bartels sagte dies nicht zum ersten Mal und auch der Bericht der unabhängigen Sonderermittlerin Frenzel war zu diesem Ergebnis gekommen. In ihrem Bericht bescheinigt sie dem Kreisjugendamt aber auch, in den Dienstanweisungen grundsätzlich die richtigen fachlichen Standards gesetzt zu haben, die auch einem Vergleich mit anderen Jugendämtern standhalten könnten. Es habe an der Durchsetzung der eigenen Fachstandards gemangelt“, so die Kreisvorsitzende der GRÜNEN, Britta Kellermann. Sie bemängelt: „Seit Bekanntwerden der Missbrauchsserie Anfang 2019 hat die Kreispolitik es versäumt, die richtigen Fragen zu stellen. Insbesondere die politische Opposition hat sich ausschließlich auf die Skandalisierung und persönliche Diffamierung des Verhaltens Einzelner konzentriert. Es ist an der Zeit, diese Phase zu überwinden und zur Sachpolitik zurück zu kehren. Wir müssen uns fragen, welche strukturellen Defizite unser Jugendamt aufweist und wie wir diese beheben können.“
In ihrem Wahlprogramm widmen die GRÜNEN dem Kinderschutz in Hameln-Pyrmont ein ganzes Kapitel. Darin setzen sie sich für die Regionalisierung der Jugendhilfe in Form von Jugendhilfestationen und für die Bildung von sozialräumlich orientierten und institutionalisierten Kinderschutz-Netzwerken ein. Es sei eine gemeinsame Aufgabe von KiTas, Schulen, Gesundheitswesen, Polizei, Jugendhilfe und öffentlicher Verwaltung, die Kinder besser in den Blick zu nehmen und Eltern und z. B. auch Erzieher*innen zu befähigen, sie besser zu schützen.
Fachkräfte und Ehrenamtliche in den Städten und Gemeinden benötigten vor Ort fachliche Ansprechpartner*innen und Beratungsmöglichkeiten, bevor sie den oft weitreichenden Schritt zum Jugendamt machten – so die Grünen. Neben den individuellen Faktoren müssten auch die sozialräumlichen Ressourcen und Unterstützungsmöglichkeiten berücksichtigt werden.
Gleichzeitig fordern sie eine Stärkung der Führungskräfte im Jugendamt durch Freistellung von der eigenen Fallarbeit, Führungskräftequalifizierung und Coaching, sowie die Erarbeitung eines umfassenden Einarbeitungskonzeptes für neue Mitarbeiter*innen im Jugendamt.
„A und O im Kinderschutz ist die Einhaltung der geltenden Fachstandards“, so Kellermann. Dazu gehört, neben dem Aufbau von eigenem Kinderschutzwissen auch die regelmäßige Reflexion des eigenen Handelns durch insoweit erfahrene Fachkräfte, sowie die Kontrolle und der Rückhalt durch Führungskräfte. Schon jetzt ist es schwer genug, qualifiziertes Personal für die Tätigkeit im Jugendamt zu finden. Erst recht im ländlichen Raum. Die Mitarbeiter*innen im Jugendamt sind heftigen emotionalen Belastungen ausgesetzt. Wenn die Kreispolitik es mit dem Kinderschutz ernst meint, dann täte sie gut daran, sich auf den Aufbau von funktionierenden Strukturen im Kinderschutz zu konzentrieren. Es stellt mittlerweile niemand mehr in Frage, dass das Jugendamt im Fall Lügde schwere Fehler gemacht hat. Aber die ewigen Skandalisierungen bringen uns mehr als zwei Jahre nach Bekanntwerden des Sachverhalts nicht mehr weiter. Und für die Gewinnung von qualifiziertem Personal sind sie sogar hinderlich.“